Über Bedrohung und Hoffnung

Über Eva Kunzes Werk ist zu lesen, dass ihr einzigartiger Stil sich deutlich in der Leidenschaft und Lebendigkeit zeige, die jedes ihrer Werke durchdringt. Ich füge meinen Eindruck hinzu: hier ist eine Malerin am Werk, deren Arbeiten seismographisch die Erschütterungen registrieren, die uns von allen Seiten bedrohen. Zugleich aber entnehme ich den Titeln ihrer Arbeiten, dass Eva Kunze keinesfalls nur von hoffnungslosen Zuständen berichtet, sondern in ihren Träumen auch der Hoffnung Raum lässt. „Escape From Reality“, dieser Titel mag von Pessimismus zeugen, aber auch vom Aufbruch in neue bessere Welten. Dennoch: in den Bildern schwebt Betroffenheit, eine Erzählung von den Leiden, aber auch von den Zwängen, in einer Welt, in einer Gesellschaft zu leben, in der man in Situationen gedrängt wird, die einen empören, niederschmettern, einsam machen und von Fluchten träumen lassen. Eva Kunzes Arbeiten, das sei „eine Symphonie neuer Ausdrucksformen“. So ist es in einem Text über ihr Werk zu lesen.

Eva Kunze erzählt von ihrer eigenen aufgezwungenen Zurückgezogenheit während der Corona-Pandemie. In dieser Zeit hat sie begonnen „Escape From Reality“ als Generalüberschrift für eine neue Serie von Arbeiten mit ihren Bildern zu füllen. Das serielle Arbeiten ist nicht neu. Sie hat sich zuvor in anderen Serien mit Themen wie „Identity“ oder „Evolution der Formen“ beschäftigt. Sie hat auch unterschiedliche Stile verwendet. Es gab Serien, die in völliger Abstraktion gehalten wurden, es gab andere mit einer eher figurativen Malweise. Eine fotorealistische Malerei, erzählt sie, sei eher nicht ihr Ding, sie löse die Gegenständlichkeit lieber auf und vermittle so eine Freiheit des Betrachtens, die sich nicht an fotografischer Genauigkeit orientiert.

Eva Kunze nutzt den Stil, der der Vermittlung ihrer Thematiken so nah wie möglich kommt. Jetzt, in dieser Schaffensphase, kann man von einer figurativen Abstraktion sprechen, die nicht gänzlich verfremdet, aber auch nicht gänzlich ins Gegenständliche gerät. Eine Zwischenwelt, die dem Titel der Ausstellung ganz und
gar gerecht wird, eine Zwischenwelt, Reales und Geträumtes ineinander fließen zu lassen, in einer ganz eigentümlichen Reduzierung der Formen und in einer raumlosen Umgebung. So eingebettet erzeugen statische Momente ein Wechselspiel mit drängender Bewegung, umgesetzt in pastosem Farbauftrag bis hin zu transparenter Lasur.

Ihre Serien können bis zu einhundert Arbeiten umfassen. Sie arbeitet dann gleichzeitig an mehreren Werken, so ergeben sich Bezüge zwischen den Arbeiten, ein Geflecht der Gefühle und Emotionen, eine thematische Fokussierung in Variationen von reduzierter Form und klarer Bildsprache. Mir erscheint der Ausstellungsraum wie ein ineinander verwobenes Netz introvertierter wie extrovertierter Gefühlsausbrüche. Alles, was Eva Kunze malt, richtet sich einerseits nach innen an die eigene individuelle Verfasstheit, an ein Unwohlsein, an dem wir leiden. Andererseits aber und gleichzeitig nach außen gerichtet, spüren wir die gesellschaftliche Einbindung, die wir uns negativ als Zwang und positiv als Zugehörigkeit vorstellen können. Solch eine Vielfalt an Gedanken, die Kunzes Werk erzeugen kann, da lohnt die ruhige Betrachtung jedes einzelnen Bildes. Wie bei jeder anderen ihrer Serien wird der Tag kommen, nichts Neues mehr auf die Leinwand zu bringen. Dann wird dieser im Jahr 2020 begonnene Werkabschnitt beendet sein und die achtsame Eva Kunze wird sich von einer neuen Thematik inspirieren lassen.

In dieser Ausstellung wird der Zusammenhalt auch erzeugt durch die Farben. Ein fast durchgängiges kräftiges Pink, ein intensives Magenta-Rot in Abstufungen bis ins Orange. Diese warmen Töne erfahren durch Blautöne wieder Abkühlung. Damit verhindert Eva Kunze, dass die Pink-Töne in den Kitsch des Barbie-Puppen-Rosa abstürzen, ihr Pink steht für die Träume von einer schöneren Welt und die Blautöne sind die Farben der Hoffnung.

Die Titel der Arbeiten geben dem Betrachter weitere Hinweise. Eva Kunze sagt, dass Kunst ohne Botschaft inhaltsleer ist. Kunst um der Kunst willen, das ist nicht ihr Ding. Sie versteht die Titel nicht als verbindliche Erklärung, eher als eine Art Fragezeichen an die Betrachter. Siehst Du das auch, was ich meine? Gibt es eine gemeinsame Grundstimmung in diesen Arbeiten? Ich glaube, dass Eva Kunze nach Antworten sucht. Keine sanfte Harmonie, das meint sie nicht, aber ein Gefühlsraum, in dem man sich gemeinsam ihren Bildern nähern kann. Eine Überlegung, wie die auseinanderfallende Welt wenigstens rudimentär Gemeinsamkeiten wiederfindet. Kunst sei das einzige Mittel, die Welt am Auseinanderbrechen zu hindern, sagte Picasso. Ein groß gedachter Anspruch, aber ich finde, hier in dieser kleinen Galerie kann Eva Kunze doch bei allem Pessimismus darauf hinweisen, dass nicht alles verloren ist und ihre Kunst schon als Auftrag zu verstehen ist, über die eigene Verfasstheit und die der Gesellschaft nachzudenken.

Sie gibt dennoch in ihren Arbeiten den Anspruch auf Schönheit und Ästhetik nicht auf. Die Farben leuchten, sie führen nicht in düstere Welten. Bei ihr schimmert immer eine kleine Fröhlichkeit durch, die man eigentlich nicht erwartet. Ja, kann man sagen, das Unglück kommt gerne freundlich daher, um nicht erkannt zu werden. Aber darum geht es Eva Kunze nicht. Sie erzeugt bis auf wenige Ausnahmen keine Ängste. Ihre Arbeiten, wenn die Botschaft ankommen soll, wollen lieber einladen zur Betrachtung, wollen inspirieren. Manchmal verdeutlichen Worte in den Bildern den Titel, erscheinen mir gleichzeitig aber auch als ausdrucksstarke Zeichen oder Symbole für die Gedanken, die Eva Kunze während der Arbeit an den Bildern hat. Oder als Markierung der Identität einer Arbeit, sozusagen der Abschluss des Arbeitens auf einer Leinwand, während auf anderen noch gemalt wird.

In manchen Arbeiten blickt man auf ein Portrait. Die frontale Ausrichtung der Gesichter zwingt förmlich, sich gegenseitig in die Augen zu blicken. Aber diese Augen im Bild bleiben in ihrer Reduzierung mehrdeutig. Sie erlauben dem Betrachter die Kommunikation mit dem Bild, reizen oder bedrohen ihn aber nicht. Der Blick in „Escape“ erscheint fragend, bleibt in „Thinking about the next step” im Ungewissen, äußerst sich zugänglich und verschlossen zugleich. „I can change my mind“ verstehe ich als eine emotional hoch aufgeladene Arbeit, hier scheint die unmittelbar sichtbare Bedrohlichkeit, von der man sich einfach nicht lösen kann, in Angst umzuschlagen. Es ist eine Arbeit, die mich an Maler der Gruppe „CoBrA“ erinnert, die nach dem 2. Weltkrieg Wut und ihre Hilflosigkeit in ihren Arbeiten herausgeschrien haben mit
fratzenhaften Wesen auf ihren Bildern. Karel Appel oder Asger Jorns in den 50er Jahren suchten mit kräftigem Kolorit und reduziertem Strich der Kunst eine neue
Richtung zu geben, die Welt nicht zu verherrlichen, sondern sich an ihr zu reiben. Sie waren die ersten nach dem Kriegsende, die in der Kunst klare Kante forderten und
von der Aufgabe sprachen, Kunst wieder mit gesellschaftspolitischen Botschaften auszustatten. So kommt es in Kunzes Werk zu Explosionen der Farbe wie der Gefühle, unmittelbar und authentisch.


Eva Kunzes Spiel mit der Realität, mit Träumen und Visionen kann aber auch in angenehmere Welten führen: in „Blissfull journey“ herrscht die Hoffnung auf glückselige Urlaubsreisen zu fernen Traumstränden. In „Lockdown Dreamescape“ markiert der Kokon die Eingeschlossenheit, aber daraus wird sich keine Phobie entwickeln. Der Kopf der Figur ragt über den Rand des Kokons, der Blick auf mögliche Fluchtwege bleibt frei.

1990 hatte Eva Kunze ihre erste Präsentation in einer renommierten Galerie. Gemalt hatte sie schon immer, aufmerksam wurde man früh auf sie. Wenn man ihren Werkkatalog betrachtet, so zeigt sich bei ihr ein immanent vorhandenes Bedürfnis sich zu äußern, ihre eigene Befindlichkeit in einen Kontext zur realen Welt einzuordnen und daraus resultierend, kritisch Stellung zu nehmen. „Escape From Reality“, das meint vielleicht die Erkenntnis, dass eine Flucht aus der Realität sehr schnell in eine andere Realität führen kann, die nicht besser sein muss als die, die man verlassen hat. Traum und Realität, in ihren Arbeiten sind es fließende Übergänge. Die muss man auch nicht als bedrohlich empfinden. Aber, so deute ich Kunzes Werk: es schadet nicht, wenn man die eigenen Standpunkte hinterfragt, um seinen eigenen festen Ort zu haben, in der Realität und ebenso jenseits davon, im Traum. Am Ende eben doch: Positives Denken!

So wie es in Eva Kunzes Bild heißt: „I can change my mind“!

Thomas Warndorf, 2024

On Threat and Hope (English)


Eva Kunze’s work is often described as showcasing a unique style that is clearly visible in the passion and vitality that permeates each of her pieces. I’d like to add my own impression: here we see an artist whose works act like a seismograph, registering the tremors that threaten us from all sides. Yet, at the same time, the titles of her works suggest that Eva Kunze doesn’t solely depict hopeless conditions but also leaves space for hope in her dreams. The title "Escape from reality" might convey pessimism, but it can also signal a departure into new, better worlds. Still, her paintings carry an air of concern, telling stories of suffering but also of the pressures of living in a world, in a society, where one is pushed into situations that provoke outrage, bring one to despair, leave one feeling isolated, and yearning for escape. Eva Kunze’s works have been described as “a symphony of new forms of expression,” according to a text on her work.


Eva Kunze speaks of her own enforced isolation during the COVID-19 pandemic. It was during this time that she began filling her new series of works under the overarching theme "Escape from reality". The idea of working in series is not new to her. She has previously explored themes like "Identity" and "Evolution of Forms" in other series. She has also experimented with different styles. Some series were done in complete abstraction, while others leaned more towards figurative painting. Photorealism, she says, isn’t really her thing; she prefers to dissolve objectivity, thereby offering a freedom of interpretation that doesn’t adhere to photographic accuracy.


Eva Kunze uses whatever style best conveys her themes. In her current creative phase, one could speak of figurative abstraction—her works aren’t entirely abstract, but they don’t completely descend into representational forms either. It’s a kind of in-between world, perfectly aligned with the title of her exhibition, allowing the real and the dreamlike to merge in a peculiar reduction of forms and in a space devoid of context. Set within this framework, static moments create a dynamic interplay with urgent movement, executed in thick, impasto brushstrokes or delicate, transparent glazes.


Her series can consist of up to a hundred pieces. She often works on multiple pieces at the same time, creating connections between the works—an intricate web of emotions and feelings, a thematic focus that unfolds in variations of reduced form and clear visual language. To me, the exhibition space feels like an intertwined network of both introverted and extroverted emotional outbursts. Everything Eva Kunze paints is, on the one hand, directed inward, addressing her own individual condition, a sense of unease that we all share. On the other hand, it is simultaneously directed outward, allowing us to sense the social embedding that we perceive both as constraint and as belonging. Kunze’s work generates such a variety of thoughts that it’s worth contemplating each piece carefully. Like with all her series, the time will come when there is nothing new left to add to the canvas. When that day arrives, this body of work, begun in 2020, will be complete, and the mindful Eva Kunze will find inspiration in a new theme.


In this exhibition, cohesion is also achieved through color. A nearly continuous vibrant pink, an intense magenta-red in shades fading into orange. These warm tones are tempered by cooler blues. This prevents Kunze’s pinks from descending into the kitsch of Barbie-doll pink; her pink represents dreams of a better world, and the blue tones symbolize hope.


The titles of her works offer the viewer additional clues. Eva Kunze believes that art without a message is empty. Art for art’s sake isn’t her thing. She sees the titles not as definitive explanations but more as questions posed to the viewer: Do you see what I mean? Is there a shared mood in these works? I believe Eva Kunze is searching for answers. She doesn’t seek a soft harmony, but rather an emotional space in which one can approach her paintings together. It’s a reflection on how a fractured world might at least partially rediscover common ground. Picasso once said that art is the only means to prevent the world from falling apart. It’s a lofty claim, but I think that, here in this small gallery, Eva Kunze—despite all the pessimism—points out that not everything is lost and that her art is a call to reflect on one’s own condition and that of society.


Yet, she does not abandon the pursuit of beauty and aesthetics in her work. The colors glow; they do not lead into dark worlds. In her work, a glimmer of joy always shines through, something one wouldn’t necessarily expect. Yes, one could say that misfortune often comes with a friendly face, making it harder to recognize. But that’s not what Eva Kunze is about. With few exceptions, her works do not evoke fear. If her message is to be received, her works want to invite contemplation, to inspire. Sometimes, words within the paintings highlight the title, while at the same time serving as powerful symbols or markers of the thoughts Kunze had while creating the pieces. Or they signify the identity of a work, marking the conclusion of her efforts on one canvas while others are still in progress.


In some works, we are confronted with a portrait. The frontal orientation of the faces almost forces a mutual gaze between viewer and subject. Yet these eyes remain ambiguous in their reduction. They allow for communication with the painting but do not provoke or threaten the viewer. The gaze in "Escape" seems questioning, remaining uncertain in "Thinking about the next step"—accessible yet withdrawn. "I can change my mind" strikes me as an emotionally charged piece, where the visible sense of threat seems impossible to escape, bordering on fear. This work reminds me of the CoBrA painters, who, after World War II, expressed their rage and helplessness in their art through grotesque figures. Karel Appel or Asger Jorn in the 1950s sought to give art a new direction, using bold colors and reduced lines not to glorify the world, but to grapple with it. They were the first, after the war’s end, to demand a clear stance in art, calling for art to be endowed once again with social and political messages. Kunze’s work similarly contains explosions of color and emotion—immediate and authentic.


However, Kunze’s play with reality, dreams, and visions can also lead to more pleasant worlds. In "Blissful journey", there’s a hope for joyful vacation trips to distant dream beaches. In "Lockdown Dreamescape", a cocoon represents confinement, but it doesn’t lead to phobia. The head of the figure emerges above the edge of the cocoon, and the view of possible escape routes remains unobstructed.


Eva Kunze had her first exhibition in a renowned gallery in 1990. She had always painted, and people noticed her early on. A look at her catalog reveals an inherent need to express herself, to relate her personal condition to the real world and, as a result, to take a critical stance. "Escape from reality" may perhaps suggest the realization that escaping reality can quickly lead to another reality, which may not be any better than the one left behind. Dreams and reality blend together in her work, but they need not be viewed as threatening. However, as I interpret Kunze’s work: it doesn’t hurt to question your own perspectives, to find a firm place for yourself both in reality and beyond it, in dreams. In the end, it is all about positive thinking!


Just like in Eva Kunze’s painting titled: "I can change my mind"!


Thomas Warndorf, 2024